Das Maß der Dinge?
Objekt des Monats September 2023
Ein kleiner Eisenstab mit drei Bronzeringen: Unser Objekt des Monats September 2023 mag auf den ersten Blick nicht besonders spektakulär wirken. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sich der kleine »Pilzkopf« als ein faszinierendes archäologisches Fundstück aus der Keltenstadt von Manching.
Im Jahr 1972 entdeckte ein Forschungsteam bei Ausgrabungen im Zentrum des Oppidums einen sorgfältig ausgearbeiteten Eisenstab mit pilzförmigem Kopfstück, dessen Schaft drei kleine Bronzeringe umgeben. Er stammt vermutlich aus dem 2./1. Jahrhundert v. Chr.
Einer Theorie zufolge handelt es sich hierbei um einen keltischen Maßstab. Ausgangspunkt dieser Idee waren die Längenmaße eines keltischen Hauses im Manchinger Oppidum, aus denen die Verwendung einer bestimmten Maßeinheit von 30,9 cm – eines »keltischen Fußes« – abgleitet wurde.
Die Länge des Stabs beträgt 15,45 cm. Sie entspräche somit der Hälfte eines solchen Fußes. Die Ringe stellen dieser Deutung zufolge Markierungen kleinerer Einheiten dar (1/8, 1/16 und 3/16). Daraus wiederum leitete man ein für Manching typisches keltisches Maßsystem ab und versuchte dies auch auf andere Baustrukturen im Oppidum zu übertragen. In diesem Fall wäre bei der Funktion des Stabes weniger an eine Art Zollstock zu denken, sondern vielmehr an ein »Eichmaß«. Hieran ließen sich z.B. Schnüre abmessen, die bei der Planung eines Hausgrundrisses gespannt wurden.
Diese Deutung wurde in der Forschung jedoch stark in Zweifel gezogen. Ohne Frage richteten sich die Manchinger Kelten in bestimmten Bereichen des täglichen Lebens nach genormten Maßen, was z.B. beim Handel Feinwaagen und Gewichte belegen. Wie jüngere Ausgrabungen zeigen, könnte auch die Anlage des Oppidums einer systematischen Stadtplanung gefolgt sein. Ebenso lassen sich die beeindruckenden Fähigkeiten und das fortschrittliche technische Knowhow der keltischen Bauhandwerker archäologisch gut bezeugen. Doch der Einsatz eines »keltischen Fußes« oder eines einheitlichen Baumaß-Systems konnte noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Bislang fehlen auch Vergleichsfunde, die sich sicher als Maßstäbe bzw. Eichmaße deuten ließen.
Welche Bedeutung mag sich nun im Stab verbergen? Wenn es sich tatsächlich um einen Maßstab handelt, wäre dann vielleicht auch an ein Feinmaß für Stoffe oder Ähnliches zu denken? Oder hatte das Objekt eine ganz andere Funktion?
Der eiserne »Pilzkopf« aus Manching bleibt jedenfalls bis auf Weiteres ein spannendes archäologisches Rätsel!
Markus Strathaus
Literatur
F. Schubert, Neue Ergebnisse zum Bebauungsplan des Oppidums von Manching, Berichte der Römisch-Germanischen Kommission 64, 1983, 5–19
F. Schubert, Metrologische Untersuchungen zu einem keltischen Längenmaß, Germania 70, 1992, 293–305
F. Schubert, Zur Maß- und Entwurfslehre keltischer Holzbauten im Oppidum von Manching. Untersuchungen zu Grundrisstypen, Bauten und Baustrukturen, Germania 72, 1994, 133–192
K. Winger, Baubefunde und Siedlungsentwicklung der Südumgehung im Oppidum von Manching, Die Ausgrabungen in Manching 20 (Wiesbaden 2015) 10–13
Weitere Infos
Das Objekt bei Bavarikon
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