Der Stein, der nicht betrunken wird
Objekt des Monats August 2021
In unserer Serie »Objekt des Monats« präsentieren wir Euch aktuell und in den nächsten Ausgaben ausgewählte Exponate, die Ihr in unserer neuen Sonderausstellung »Kunst in Miniatur – Antike Gemmen aus Bayern« live bewundern könnt.
Bei unserem Objekt des Monats August 2021 handelt es sich um eine römische Amethyst-Gemme aus dem 1./2. Jahrhundert. n. Chr. aus der Archäologischen Staatssammlung. Sie wurde bei archäologischen Ausgrabungen auf dem Areal der römischen Siedlung von Gauting im oberbayerischen Landkreis Starnberg geborgen. Konkret auf einem Grundstück, das direkt an der antiken Straße von Cambodunum (heute Kempten/Allgäu) nach Iuvavum (heute Salzburg/Österreich) lag. Wie der Fundkontext nahelegt, befand sich dort die Werkstatt eines römischen Feinschmiedes, die um 140 n. Chr. durch einen Brand zerstört wurde.
Der Amethyst, ein zu den Quarzen zählender Edelstein, erhielt seinen Namen vom griechischen Wort améthystos (ἀμέθυστος), zu Deutsch: »frei von Trunkenheit« bzw. »nüchtern«. Zur Zeit des römischen Naturforschers Plinius des Älteren (23/24–79 n. Chr.) kursierte die Erklärung des Namens im Sinne von: »Der Stein, der nicht betrunken wird.«
Plinius zufolge ergab sich der Name aus der transparenten, zumeist roten bis violetten Färbung des Amethystes: Sie gleiche der von verdünntem Rotwein – die Römer tranken Wein stets mit Wasser gemischt – und erreiche nicht die Farbtiefe und somit auch die Schwere reinen Rebensafts. Zechfreudige Zeitgenossen legten die Bedeutung allerdings etwas anders aus: Die magischen Kräfte des Amethystes schützten sie selbst vor Trunkenheit! Als Amulett getragen bewirke er nicht nur uneingeschränkten Alkoholkonsum, sondern bewahre auch vor dessen unangenehmen Folgen. Plinius tat dies allerdings als magische Quacksalberei ab.
In den Schmuckstein, der vielleicht als Ringstein gedient haben mag, ist eine Darstellung des Merkur eingraviert. Der jugendliche Gott ist nackt an einer Säule stehend abgebildet, über seinem rechten Arm hängt ein Hüftmantel. Während er sich mit seiner Linken auf den Botenstab stützt, hält er in seiner Rechten vermutlich eine Opferschale mit Widderschädel. Der Götterbote Merkur, griechisch Hermes, galt nicht nur als Schutzpatron der Händler und Reisenden, sondern auch der Diebe und Glücksspieler.
In einer römischen Feinschmiede könnte sein Bild auf einer Gemme als Garant für ein gut florierendes Geschäft gedient haben. Stellen wir uns einmal (theoretisch) vor, dass die Steinsorte und die Darstellung des Merkur in bewusster Beziehung zueinanderstanden: Ob die Gemme ihren einstigen Besitzer, etwa nach dem ausgedehnten Besuch einer römischen Taverne mit Würfelspiel und Weinrausch, vor einem bösen Erwachen mit leerem Geldbeutel und dickem Kopf bewahrte?
Markus Strathaus
Literatur
G. Platz-Horster, Antike Gemmen aus Bayern in der Archäologischen Staatssammlung, Ausstellungskataloge der Archäologischen Staatssammlung 42 (München 2018) 84–85 Kat. 65
Weitere Infos
Das Objekt bei Bavarikon
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