Esel sei der Mensch
Objekt des Monats April 2024
Rund um den römischen Militärstützpunkt von Oberstimm entwickelte sich eine ca. 10 Hektar große Zivilsiedlung (vicus), in der die Familien der Soldaten lebten und sich auch Handwerker und Händler niederließen.
Auf dem Gebiet dieses Kastell-Vicus wurde unser Objekt des Monats entdeckt: eine figürlich geformte Gewandnadel, eine sogenannte Fibel, die wohl in das 2. Jahrhundert n. Chr. datiert. Die Fibel besteht aus Bronze und war ursprünglich mit bunter Emaille verziert.
Das Original befindet sich heute im Stadtmuseum Ingolstadt, eine originalgetreue Kopie ist im kelten römer museum manching zu sehen.
Besonders spannend wie rätselhaft – und bislang offenbar einzigartig – ist die Bildsprache der Fibel: Sie zeigt eine Gestalt mit dünnen menschlichen Beinen und dem Kopf eines Esels.
Ist hier etwa ein Mensch mit Eselsmaske gemeint? Das Tragen von Tiermasken ist für Kult-Zeremonien überliefert, etwa aus dem Mithras-Kult, aber auch für Festumzüge. Beweise für Eselsmasken finden sich in diesen Zusammenhängen jedoch nicht. Ist unser »Eselsmensch« vielleicht als Theaterschauspieler zu deuten? Auch hierfür fehlen bislang eindeutige Belege.
In der Zeit, in der die Oberstimmer Fibel entstanden sein dürfte, waren Darstellungen von Eseln, die eine Toga tragen, eine Schriftrolle halten oder gar ein feierliches Opfer vollziehen, sehr beliebt, etwa in Form von Terrakotta-Figuren. Sie sollten vermutlich Gelehrte und »ehrbare Bürger« – oder besser: Menschen, die sich als solche präsentierten – aufs Korn nehmen.
Speziell ehemalige Sklaven bzw. Freigelassene konnten häufig zur Zielscheibe eines solchen Spotts werden: Ganz gleich, wie sehr sie sich auch darum bemühten, einen römischen Vorzeige-Bürger abzugeben, aus Sicht der freigeborenen Elite ließ sich ihre niedere Herkunft nicht abschütteln.
Handelt es sich bei unserer Eselsfibel um eine Art Scherzartikel? Leider weist die Figur keine weiteren Kennzeichen wie zum Beispiel eine bestimmte Kleidung auf, die eine genauere Einordnung ermöglichen könnten.
Oder verlieh das groteske Aussehen des Wesens der Fibel eine Kraft als übelabwehrendes Amulett?
Markus Strathaus
Literatur
M. Strathaus, Esel nach Athen? Zur außergewöhnlichen Ikonografie einer römischen Figurenfibel aus dem Kastellvicus von Oberstimm (Oberbayern), Bayerische Vorgeschichtsblätter 88, 2023, 141–153