Faszinierend...

Objekt des Monats Juni 2024

Römisches Amulett mit Phallus aus Oberstimm.

»Es gibt in der Tat niemand, der nicht fürchtet, durch furchtbare Verwünschungen gebannt zu werden.« Der römische Naturforscher Plinius der Ältere (23–79. n. Chr.), dem wir diese Beobachtung verdanken, bringt es treffend auf den Punkt: Der Glaube an übersinnliche Kräfte, etwa an Zauberei und Verfluchung, war im Alltag römischer Menschen allgegenwärtig.

Besonders der »Böse Blick« stellte eine Bedrohung dar: Es genügte bereits, eine andere Person auch nur neidisch anzustarren, um sie dadurch zu verwünschen. Neben der Furcht, von schädlichem Zauber getroffen zu werden, bestand im Gegenzug auch das Bedürfnis, Glück magisch anzuziehen, sei es in der Liebe, beim Wagenrennen im Circus Maximus, für ein gutes Geschäft oder im Kampf.

Doch wie sich schützen vor übelwollenden Geistern, verderblichem Schadenszauber oder dem »Bösen Blick«? Und ließen sich dabei sogar noch zusätzliche positive Effekte bewirken? »Übel abwehren, Glück anziehen« – so könnte der Slogan für unser Objekt des Monats lauten.

Das ca. 8 cm große, aus der Geweihrose eines Hirsches gefertigte Medaillon wurde im römischen Kastell von Oberstimm gefunden und datiert vermutlich in das 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. Die Oberfläche ist mit einem ausgeschnitzten Phallus dekoriert. Zwei kleine Löcher, in denen bei Auffindung noch ein Stück bronzener Draht steckte, sprechen für eine Verwendung als Anhänger.

Anhänger in Form eines Phallus, einer Vulva oder etwa auch der »Fica«-Geste (bei welcher der Daumen zwischen Mittel- und Zeigefinger geschoben wird) sind in römischer Zeit weit verbreitet. Glauben wir dem Schriftsteller Plutarch, dann regten solche Darstellungen zum einen zum Lachen an, wobei man dem Lachen eine übelabwehrende Macht zuschrieb. Zum anderen konnten kuriose Darstellungen den »Bösen Blick« auf sich ziehen und somit vom Opfer ablenken.

Amulette solcher Art wurden fascina genannt. Dieser Name, so wiederum Plinius, stamme vom Gott Fascinus, der als Schutzherr der Feldherren und Kinder galt. Die Amulette sollten also im wahrsten Sinne des Wortes faszinieren. Sogar unter dem Triumphwagen, so Plinius weiter, hing stets ein Phallos-Amulett, um den Triumphator vor dem »Bösen Blick« zu schützen.

Die Darstellungen menschlicher Geschlechtsteile symbolisierten zudem Fruchtbarkeit und Leben – Eigenschaften, die auch der Hirsch verkörpert. Das Material des Medaillons könnte somit bewusst in diesem Zusammenhang verwendet worden sein. Seit Jahrtausenden stellen Tierknochen und -zähne begehrte Jagdtrophäen dar, die als Amulette dien(t)en. Hier mag die Idee, sich bestimmte Kräfte des erlegten Tieres anzueignen bzw. zu übertragen, ein Grundgedanke sein.

Schmückte unser Medaillon einst das Pferd eines römischen Reitersoldaten? Das ist durchaus wahrscheinlich, denn römische Kavalleristen staffierten ihre Tiere häufig mit Amuletten bzw. Talismanen aus. Im Kastell von Oberstimm, in dem auch römische Reitersoldaten stationiert waren, fanden sich weitere Anhänger, zum Beispiel bronzene Amulette in Phallus-Form, die wohl zu Pferdegeschirren gehörten. Auch an anderen einstigen Standorten römischer Kavallerie, etwa im Kastell von Aalen, wurden zahlreiche Exemplare gefunden. Darstellungen römischer Reitersoldaten – allen voran Soldaten-Grabsteine – zeigen uns teils reich dekorierte Pferde.

Aus der Zeit um 150 n. Chr. ist uns der Brief eines Vaters an seinen Sohn, der offenbar in einer Kavallerie-Einheit diente, überliefert. Darin heißt es: »Quintus, ich bete für deine Gesundheit und für die deines Pferdes, auf dass es geschützt sei vor dem ›Bösen Blick‹«.

Markus Strathaus

 

Literatur

Sabine Deschler-Erb, Römische Beinartefakte aus Augusta Raurica. Rohmaterial, Technologie, Typologie und Chronologie, Forschungen in Augst 27/1 (Augst 1998) 168–173

Kordula Gostenčnik, Ein Rehgeweihmedaillon vom Magdalensberg, Römisches Österreich 31, 2008, 3–10

Marcus Junkelmann, Die Reiter Roms. Teil III: Zubehör, Reitweise, Bewaffnung (Mainz 1992) 76–88

Martin Kemkes – Jörg Scheuerbrandt – Nina Willburger, Am Rande des Imperiums. Der Limes – Grenze Roms zu den Barbaren, Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Archäologische Sammlungen, Führer und Bestandskataloge VII (Stuttgart 2002) 154

Hans Schönberger – Heinz-Jürgen Köhler – Hans-Günther Simon, Neue Ergebnisse zur Geschichte des Kastells Oberstimm, Berichte der Römisch-Germanischen Kommission 70, 1989, 292 Abb. 18. 295 Nr. G2